Historisches

Bis zur letzten Patrone

Brunnen-/Ecke Stralsunder Straße um 1950: Nach der Trümmerbeseitigung wurden auf dem Areal zunächst provisorische Flachbauten errichtet. Foto: Archiv Ralf Schmiedecke

In diesem Jahr jährt sich zum 80. Mal der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Wie hat das Brunnenviertel diese Schreckenszeit erlebt? Teil 2 von 2: Der Endkampf

Ende April 1945 ist Berlin von sowjetischen Truppen eingeschlossen, die sich vom Stadtrand in Richtung Regierungsviertel vorkämpfen. Am 23. April erreichen sie die Ringbahn-Trasse am Gesundbrunnen, die zu einer massiven Verteidigungslinie ausgebaut worden ist. Tags zuvor haben deutsche Pioniere bereits die Swinemünder Brücke gesprengt, um zu verhindern, dass an dieser Stelle motorisierte Verbände der Roten Armee den
S-Bahngraben überwinden.

Eine zentrale Rolle im Verteidigungssystem am Gesundbrunnen nimmt der Flakbunker am Humboldthain ein, um den herum dichtgestaffelte Schützen- und Splittergräben sowie Straßenbarrikaden angelegt worden sind.

Die verheerenden britisch-amerikanischen Luftangriffe auf Berlin sind inzwischen eingestellt, um die vorrückenden sowjetischen Verbündeten in der Stadt nicht zu gefährden. Da die Rote Armee nur über relativ wenige Flugzeuge verfügt, richtet sich die enorme Feuerkraft der zumeist von Jugendlichen bedienten Flakturmgeschütze mehr und mehr auf das Kampfgeschehen am Boden. SS-Einheiten sorgen für Schussfreiheit, indem sie vor allem in der Gegend um die Rügener Straße zahlreiche Wohnhäuser niederbrennen.

Unter Umgehung des Volksparks Humboldthain gelingt es den sowjetischen Truppen schließlich, die deutschen Linien am Gesundbrunnen zu überwinden und weiter in Richtung Stadtzentrum vorzudringen. Bei ihrem Vormarsch setzen sie Panzer und Granatwerfer ein, die dem durch Fliegerbomben und Brandschatzungen bereits verwüsteten Viertel weitere schwere Schäden zufügen. Bei diesen Kampfhandlungen wird beispielsweise das Areal zwischen Brunnen- und Ruppiner Straße entlang der Bernauer Straße nahezu komplett zerstört. Wie an vielen Orten Berlins kommt es in dieser Zeit auch in der Gegend um den Gesundbrunnen zu Plünderungen und Gewalttaten, die zumeist vom nachfolgenden militärischen Tross begangen werden.

Von der ehemals dichtbebauten Rügener Straße sind nur noch vereinzelte und beschädigte Häuser stehengeblieben, um 1950. Foto: Archiv Ralf Schmiedecke

Als am 2. Mai die deutschen Truppen in Berlin kapitulieren, leisten die Verteidiger des Humboldthains und des Flakturms, in dem sich viele Verwundete befinden, trotz aussichtsloser Lage noch immer Widerstand. Erst in der Nacht zum 3. Mai erhalten sie über Lautsprecher den Kapitulationsbefehl des Stadtkampfkommandanten General Weidling. Um 12 Uhr wird der Flakturm Humboldthain übergeben, einige Insassen begehen aus Furcht und Verzweiflung Selbstmord. Die Zivilbevölkerung, die im Bunker Schutz gesucht hat, erhält freies Geleit, während Militärangehörige und NS-Kader in Gefangenschaft geraten. Damit ist das Kriegsende auch am Gesundbrunnen besiegelt.

Die Bilanz für den Teil des südlichen Weddings, den wir heute als Brunnenviertel bezeichnen, ist katastrophal: Etwa ein Drittel aller Gebäude liegt in Trümmern, nur wenige Häuser bleiben unbeschädigt. Die Zahl der bei den Kampfhandlungen getöteten Menschen im Viertel kann nur geschätzt werden, da im Chaos der letzten Kriegstage eine geregelte Erfassung kaum möglich ist. Viele Opfer werden zunächst in Splittergräben und Bombentrichtern notdürftig verscharrt und können erst in der Nachkriegszeit exhumiert und auf Friedhöfen bestattet werden. Die sowjetische Armee lässt ihre Gefallenen in zentrale Gedenkstätten überführen.

Heute erinnern im Brunnenviertel nur noch wenige steinerne Zeugen an den Zweiten Weltkrieg, denn in den 1960er und 1970er Jahren wurden die noch verbliebenen Altbauten größtenteils abgerissen. Lediglich die weithin sichtbare Ruine des ehemaligen Flakbunkers im Humboldthain gemahnt eindringlich an diese schwere Zeit von Tod, Leid und Zerstörung.

Link zu Teil 1 der Reihe: Bomben, Bunker und Ruinen

Text: Alexander Dowe, Fotos: Sammlung Ralf Schmiedecke
Der Text ist im Kiezmagazin „Eine Spielwiese für alle“ (Ausgabe 3/2019) erschienen.

Ein Kommentar zu “Bis zur letzten Patrone

  1. Mein Urgroßvater Gustav Ziemann wurde in den letzten Tagen des Krieges, ein Maschinengewehr in die Hand gedrückt, er wollte das nicht, hatte aber keine Wahl. Zuletzt wurde er in der Prinzenallee gesehen. Seitdem fehlte und fehlt jede Spur von ihm. Er war 81 Jahre alt.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar