Redaktion

Einmal König von Albanien sein

Durch eine unglaubliche List gelang es Otto Witte, dem Jahrmarktskünstler aus der Wollankstraße, die Regentschaft Albaniens zu übernehmen. Wenn auch nur für kurze Zeit. Monika Puhlemann* hat sich mit dem Lebensweg des Hochstaplers aus dem Wedding beschäftigt.

Hoch zu Ross und in Uniform: der Hochstapler Otto Witte. Er betrieb in der Wollankstraße einen Trödelladen. Zeichnung: Katrin Merle
Hoch zu Ross und in Uniform: der Hochstapler Otto Witte. Er betrieb in der Wollankstraße einen Trödelladen. Zeichnung: Katrin Merle

Otto Wittes ungewöhnlicher Lebenslauf begann mit seiner Geburt am 16. Oktober 1872 wahrscheinlich in der Nähe von Magdeburg. Die Eltern waren Schausteller und zogen mit einem Wanderzirkus durch die Lande. Der kleine Otto wuchs deshalb bei den Großeltern in Berlin auf. Schon früh eignete er sich alle Tricks und Kniffe an, die für sein weiteres Leben hilfreich sein würden. Bereits mit acht Jahren konnte er hervorragend zaubern, jonglieren und reiten. So bekam er früh die Möglichkeit, seine Fertigkeiten einem Publikum zu präsentieren. Auch die Kunst des Feuerschluckens, Wahrsagens, der Tierdressur und der Clownerie eignete er sich nach und nach an. Lesen und Schreiben lernte er nie. Dafür beherrschte er viele Sprachen.

Mit dem Zirkus Althoff reiste Witte durch Ungarn, Norditalien und die Länder des Balkans, überquerte das Mittelmeer und trat am Hofe des Kaisers von Abessinien auf. Dort verliebte er sich in die Prinzessin und brannte mit ihr durch. Das Paar wurde von Häschern verfolgt und gefasst. Die Prinzessin kehrte zurück an den Hof, Otto Witte hingegen landete im Kerker des Kaisers. Doch bevor er einen Kopf kürzer gemacht werden konnte, überlistete er seine Wächter und floh. Fortan trieb er sich in verschiedenen afrikanischen Ländern herum und schlug sich als Touristenführer und Teilnehmer von Expeditionen durch. Er durchwanderte mit Beduinen die Sahara, freundete sich mit Menschenfressern an, überzeugte als Medizinmann und gelangte schlussendlich als Fremdenlegionär nach Südafrika. Wieviel Wahrheit in diesen Geschichten steckt? Heute weiß das keiner. Die damaligen Zeitungsschreiber gaben jedenfalls ihr Bestes. Sie berichteten gern und viel über den Abenteurer.

Otto Witte sehnte sich zurück nach Europa. Auf einigen Umwegen kam er nach Konstantinopel (das heutige Istanbul) und suchte nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen. Die Sprache beherrschte er perfekt und so ließ er sich von der türkischen Armee anwerben. Sein Auftrag war von geheimdienstlicher Natur. Er sollte die Geschehnisse in Albanien ausspionieren, denn Ende des Jahres 1912 hatte sich das Land von einer 400 Jahre währenden Herrschaft durch das Osmanische Reich befreit. Nun suchte die junge Republik Albanien nach einem muslimischen Herrscher. Die Mehrheit der Bevölkerung wünschte sich einen König.

Durch seine Spionagetätigkeit erfuhr Otto Witte, dass als König der aus Albanien stammende Prinz Halim Eddin auserwählt worden war. Auch fand er heraus, dass er dem Prinzen unglaublich ähnlichsah. Schnell stand sein Plan fest: Witte wollte König von Albanien werden. Für sich und seinen „Adjutanten“, den Freund und Schwertschlucker Max Schlepzig, besorgte er bei einem Wiener Kostümverleih die passenden Uniformen. Dann kündigten sie in Telegrammen den albanischen Behörden ihre baldige Ankunft an: PRINZ HADIM EDDIN KOMMT. UEBERNIMMT OBERBEFEHL UEBER DORTIGE TRUPPEN.

Von Triest aus fuhren Otto Witte und sein Kompagnon mit einem Schiff direkt an die albanische Küste nach Durrazo (heute Durrës). Von dort war es nur noch ein Katzensprung zur albanischen Hauptstadt Tirana. In dieser Zeit herrschte dort, wie auf dem gesamten Balkan, ein militärisches Durcheinander. Da kam Otto Witte in seiner schmucken Uniform als Prinz Eddin wie gerufen. An seiner Echtheit zweifelte niemand und so wurde er schnell zum König gekürt. Unter dem Jubel der Menschenmassen übernahm er am 15. Februar 1913 den Oberbefehl für die Heerestruppen. Dazu gehörte auch die Übergabe der gut gefüllten Heereskasse. Tags darauf traten nacheinander die Fürsten des Landes an, um ihm wertvolle Geschenke zu überreichen. Vermutlich erhofften sie sich dadurch Vorteile. Auf die Empfänge folgte ein opulentes Festessen, dass sich über Stunden hinzog. Bedienstete kredenzten alle Köstlichkeiten des Landes, dazu spielte traditionelle Musik und Tänzer zeigten ihr Können. Zu allerletzt überraschte man den neuen König mit einem Harem der elf lieblichsten Frauen des Landes. Otto Witte war begeistert und genoss seine Herrschaft in vollen Zügen.

Das Grabdenkmal für Otto Witte auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf. Das Grabmonument wurde 1958 vom deutschen Bildhauer Egon Lissow (1926–1990) geschaffen. Foto: Lumu/Wikimedia (CC BY-SA 3.0)
Das Grabdenkmal für Otto Witte auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf. Das Grabmonument wurde 1958 vom deutschen Bildhauer Egon Lissow (1926–1990) geschaffen. Foto: Lumu/Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Sein Glück währte jedoch nicht lange. Nach nur fünf Tagen kündigte sich der echte Prinz mit seiner Gefolgschaft an. Noch blieb der falsche König cool. Kurzerhand ließ er Prinz Eddin verhaften und als Lügner in den Kerker sperren. Doch bevor alles aufflog, machten sich Otto Witte und sein Freund Max Schlepzig bei Nacht und Nebel aus dem Staub. Sie flohen mit einem Teil der königlichen Schätze im Gepäck, dieses Mal als Bauern verkleidet.

Otto Witte blieb bis zu seinem Tode 1957 ein Vagabund. Mit einem Schaustellerwagen zog er von Ort zu Ort, präsentierte sich als „Ehemaliger König von Albanien“ und betrieb in der Wollankstraße 43 einen kleinen Trödelladen, bis er 1950 zu seiner Tochter nach Hamburg zog. Den herrschaftlichen Titel ließ er in seinem Ausweis als Künstlernamen eintragen und auf seinem Grabstein in Hamburg findet man noch immer den Hinweis auf seine einstige Regentschaft.

Sein umtriebiges Wesen gab er übrigens weiter an seinen Sohn, Enkelsohn und Urenkel. Doch das sind andere Geschichten.

*Das ist der letzte Text unserer Autorin Monika Puhlemann. Sie stellte ihn kurz vor ihrem plötzlichen Tod im Juli fertig. Vielen Dank an ihre Tochter für die Übermittlung des Textes aus dem Nachlass unserer Autorin! Der Nachruf der Bürgerredaktion steht auf der nächsten Seite

Text: Monika Puhlemann, Foto: Wikimedia, Zeichnung: Katrin Merle

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