Natur & Umwelt

240 Strophen im Repertoire

Das Nachtigallmännchen verzaubert mit seinen Melodien nicht nur die Weibchen seiner eigenen Spezies: Monika Puhlemann folgt dem facettenreichen Gesang durch die Stadt.

Eine Nachtigall singt im Mauerpark. Foto: Hartmut Bräunlich
Eine Nachtigall singt im Mauerpark. Foto: Hartmut Bräunlich

Berlin, Hauptstadt der Nachtigallen – als ich das in der Zeitung las, staunte ich nicht schlecht. Doch wer ab Mai in unseren Parks und Wäldern spazieren geht, kann sie hören. Die Nachtigall. Oder besser, den Nachtigallenmann. Schon in frühester Jugend lernt er von seinen Nachbarn das Singen und bringt es auf bis zu sagenhafte 240 Strophen, jede davon zwei bis vier Sekunden lang. Diese Strophen werden wiederholt in unterschiedlicher Reihenfolge gezwitschert, geflötet, geträllert und auch geschmettert. Ein wirklich fantasievolles Konzert in lauten und leisen Tönen. Die Nachtigallenfrau singt nicht, aber ist eine interessierte Zuhörerin.

Berlin bringt es jährlich auf etwa 1.500 Brutpaare (von zirka 95.000 deutschlandweit), die gerne im Dickicht von Büschen recht bodennah ihr Nest bauen. Dabei bevorzugen sie verwaiste Areale mit wilden Brombeerhecken, ungepflegte Flächen in Parks, Brennnesselgestrüpp an den Bahnlinien oder verschwiegene Ecken auf Friedhöfen.

Die Nachtigall ist ein kleiner, unauffälliger Vogel, der mit seinem bräunlichen Gefieder einem Spatzen ähnlich sieht. Sie gehört aber zur Familie der Drosseln. Dem Namen nach ist sie die „Nachtsängerin“, obwohl sie bei Tag und bei Nacht zu hören ist. Und das schallend deutlich, denn das Männchen geht mit seinen melodischen Darbietungen gleich nach der Ankunft aus Afrika im Frühling auf die Suche nach einem Weibchen. Hat er das passende Weibchen gefunden und sind die Eier gelegt, werden durch den Gesang Rivalen und Fressfeinde auf eine falsche Fährte gelockt. Das Männchen versorgt das brütende Weibchen überdies mit Nahrung, die meist aus Spinnen, Larven und Würmern besteht. Später gelangen auch kleinere Früchte und Beeren auf den Speiseplan.

Mit ihren entzückenden Liedern hat die Nachtigall nicht nur bei uns, sondern weltweit begeisterte Lauscher gefunden. So eine Darbietung kann immerhin bis zu 20 Stunden dauern!

Auch viele Dichter und Komponisten ließen sich durch die Nachtigall verzaubern. So gilt sie nicht nur als Frühlingsbote, sondern wurde auch zu einem Symbol der romantischen Liebe. Da lässt Shakespeare Julia den berühmten Satz zu Romeo sagen: „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“, um die Zeit der Zweisamkeit zu verlängern. Igor Strawinsky komponierte die Märchenoper „Die Nachtigall“ und Johann Strauß ließ sich zu einer „Nachtigallen-Polka“ hinreißen. Sehr weit hat es übrigens die Nachtigall (Bülbül) im Iran gebracht, hier wurde sie zum Nationalvogel gekürt.

Vermutlich aber ist ein jeder von dieser kleinen „Königin der Nacht“ fasziniert. Und wer nicht, dem kann ich nur sagen: „Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall“.

Text: Monika Puhlemann, Foto: Hartmut Bräunlich

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