Eine besondere Foto-Ausstellung ist derzeit im Wandelgang der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße zu sehen. „Flüchtlingsgespräche“ von Christian Lehsten und Solveig Witt eröffnete am 20. Juni. Ein Bericht von Michael Becker.
Gezeigt werden acht großformatige Fotos von Gesichtern älterer und jüngerer Menschen. Die vier älteren sind um die 80 Jahre alt, die jüngeren um 30 Jahre. Eskortiert werden sie von ebenso vielen Texttafeln, die mit Gesprächszitaten versehen sind.
Die Fotos sind in schwarz-weiß aufgenommen. Die Gesichter der Älteren sind von Erfahrungen geprägt. Die Jüngeren strahlen vorsichtige Hoffnung aus. Besuchte man die Ausstellung ohne Kenntnis ihres Titels, wäre man geneigt, etwas zum Generationenthema zu sehen. Aber beim Lesen der Tafeln beginnen die Gesichter zu sprechen. Von ihren Fluchterfahrungen, wie der Name der Ausstellung ankündigt.
Es werden acht Bewohner aus zwei Dörfern Mecklenburgs vorgestellt. Sie eint das gleiche Schicksal, die Flucht vor dem Krieg. Die Älteren flohen 1945 vor der nahenden Front des Zweiten Weltkrieges aus den Ostgebieten Deutschlands über die Oder. Die Jüngeren flohen vor dem Bürgerkrieg 2015 in Syrien und Afghanistan. Sie vereint nun die gleiche neue Heimat: Dabel und Rothen, östlich von Schwerin gelegen. Das war für die dort lebenden Christian Lehsten (Foto) und Solveig Witt (Interview) Anlass zu einem kühnen Projekt, gemessen an der angespannten Flüchtlingssituation damals.
Christian Lehsten und Solveig Witt kannten die Flüchtlinge von früher. Als sie die aus dem Jahr 2015 kennen lernten, fiel ihnen etwas auf, die Ähnlichkeiten der Situationen damals und heute: Flucht vor Krieg, Verlust der alten Heimat, Verlust von Arbeit, Wohnung und Vertrautheit des sozialen Umfelds. Und es war die Ähnlichkeit das Nichtwillkommenseins bei vielen Bewohnern. Nach 1945 waren es die Sorgen des verlorenen Kriegs, die die Aufnahmebereitschaft, obwohl es sich um die eigenen Landsleute handelte, in Grenzen hielt. Heute ist es das Misstrauen gegenüber den fremden Kulturen.
So kam es bereits 2016 in Rothen zu der Ausstellung „Flüchtlingsgespräche“. Solveig Witt sprach zur Eröffnung in Berlin von der erhofften Wirkung der Entspannung im Ort. Nach wie vor sei die Situation nicht einfach. Aber die Ausstellung habe es früheren und heutigen Flüchtlingen ermöglicht, sich mit andern Augen zu sehen. Die neuen hätten keine Ahnung von der Flucht von zwölf Millionen Deutschen aus Ostpreußen und Schlesien nach 1945 gehabt. Und die alten wussten wenig von den Hintergründen der Bürgerkriege. Das Kennenlernen der individuellen Nöte, die zur Flucht führten, habe ein besseres Verständnis füreinander erzeugt.
Bewegend war der besondere Ton, der bei der Eröffnung der Ausstellung im Juni angeschlagen wurde. Die Weddinger Gitarrengruppe Wildkraut bot in engagierten Einzelvorträgen Lieder von Abschied und Willkommen dar. Es erklangen der DDR-Song „Als ich fortging“ wie auch die Hilferufe des „I’m sailing“. Besonders berührend war der Spiritual „Oh Freedom“ zum Schluss. Die Kulturbeauftragte der Kapelle, Esther Schabow, wusste die Beiträge der Gesprächsteilnehmer und Musiker lebendig in Wechsel zu setzen.
Die Ausstellung in der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße bietet den Berlinern bis zum 29. August eine interessante Möglichkeit der inneren Zwiesprache. www.versoehnungskapelle.de
- Kapelle der Versöhnung
- Bei der Vernissage
- Solveig Witt (links) und Esther Schabow
- Eine in der Flüchtlingsarbeit aktive Frau spricht bei der Vernissage
- In der Kapelle, rechts: Solveig Witt
- Musikalische Umrahmung
Text und Fotos: Michael Becker