Historisches

„Früher war die Mauer für mich allgegenwärtig“

Berliner Mauer

Der Tag, an dem die Mauer fiel, jährt sich zum 30. Mal. Susanne Haun wuchs im Wedding auf und ging im heutigen Brunnenviertel zur Oberschule, als die Mauer die Stadt noch teilte. Corinna Neinaß sprach mit der bildenden Künstlerin über ihre Erinnerungen.

Susanne, welche Rolle spielt die Mauer noch für dich?
Susanne Haun: Eigentlich gar keine. Früher war die Mauer für mich hier in Berlin allgegenwärtig, ob ich sie gerade sah oder nicht. Fuhr ich mit dem Fahrrad zu meiner besten Schulfreundin, führte der Weg eine ganze Weile an der Mauer entlang. Heute weiß ich oft nicht mehr genau, wo sie eigentlich stand.

In der Bernauer Straße ist eine Erinnerungslandschaft entstanden. Wie ist dein Eindruck davon?
Susanne Haun: Als Ort der Erinnerung ist sie sehr gelungen, auch die Ausstellung im ehemaligen Gemeindehaus der Versöhnungsgemeinde. Für mich ist es allerdings auch merkwürdig, wenn ich da bin und so viele Besucher kommen. Das ist aber etwas sehr Persönliches, da meine Schulfreundin in dem Haus konfirmiert wurde. Besonders schlimm war es für uns, als die Versöhnungskirche, die im Grenzstreifen lag, 1985 gesprengt wurde. Wir konnten es von ihrer Wohnung aus sehen.

Susanne Haun 1990

Susanne Haun an der Berliner Mauer an der Bernauer Straße im Frühjahr 1990. Foto: privat

Die Grenzanlagen sollten eine Flucht in den Westen unmöglich machen. Nur wenige Menschen aus der DDR konnten den Westen tatsächlich kennenlernen. Wie hast du den Osten erlebt?
Susanne Haun: Ich war ziemlich oft in Ostberlin. Auf dem Fernsehturm, im Theater und sogar mal mit der Schulklasse. In den Ferien fuhren wir zu Verwandten in den Spreewald. Wir sahen, dass es nicht so viele Dinge gab wie bei uns, haben auch Pakete geschickt. Aber einmal wollte ein Cousin eine besondere Markenjeans. Das war schon merkwürdig, da hatte er ganz falsche Vorstellungen. Wir haben uns die auch nicht leisten können.

Denkst du, dass in manchen Köpfen noch Mauern sind? Aufgrund der Erziehung und der vermittelten Bilder von der jeweils anderen Seite?
Susanne Haun: Ich empfinde das nicht so. Ich kenne viele Menschen aus dem Ostteil, habe viele Freunde dort. In den 1990ern war ich beruflich als IT-Spezialistin viel in Ostdeutschland unterwegs. Es war dort normal, dass Frauen berufstätig waren, auch in technischen Berufen und in leitenden Positionen. Ich fühlte mich zu Hause. Meine Mutter hatte immer gearbeitet. Das war im Westen nicht selbstverständlich.

Hast du als Künstlerin auch Gemeinsamkeiten entdeckt?
Susanne Haun: Im vergangenen Jahr habe ich mit der Künstlerin Doreen Trittel eine Ausstellung zum Thema „Künstlerischer Umgang mit Erinnerung“ vorbereitet und in meinem Atelier gezeigt. Doreen ist in Ostberlin aufgewachsen. Wir haben uns im Vorfeld sehr oft getroffen und festgestellt, dass vieles in unserer Lebensgeschichte gar nicht so anders ist. Aktuell arbeiten wir an einem Buch, in dem wir Fotos aus unserer Kindheit und Jugend gegenüberstellen.

Mehr Informationen über Susanne Hauns künstlerische Projekte gibt es online auf ihrer Webseite (www.susannehaun.de).

Interview: Corinna Neinaß, Fotos: privat, Dominique Hensel
Der Text im im Kiezmagazin „Wünsche für den Kiez“, Ausgabe 4/2019 erschienen.

1981 an der Berliner Mauer: Susanne (ganz vorn) war damals 16 Jahre alt und mit ihrer Brieffreundin aus Essen zur Berliner Mauer gegangen. Foto: privat

5 Kommentare zu “„Früher war die Mauer für mich allgegenwärtig“

  1. Danke für das Interview, es hat mir Freude gemacht, über die „alten Zeiten“ zu sprechen ;-)
    Vielleicht könntet ihr den Link zu meinem Blog korrigieren? Da haben sich drei www zuviel eingeschlichen.
    Herzlichen Dank, Susanne

    Gefällt 1 Person

  2. Pingback: Gedankenspiele – Rosen und Carrara in Kombination mit dem Brunnen-Magazin – Susanne Haun | Susanne Haun

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